STIFTUNG MOZARTEUM / KRYSTIAN ZIMERMAN
„Warum Ihm die neue große Sonate so zerkratzt vorkommt, wie Er sich ausdrückt, und so voller Fehler: Ich glaube, weil Er sich vor ihr fürchtet. Nichts ist da falsch, wovon Er es annimmt. Er hält es nur nicht für möglich.“
Das sagt Ludwig van Beethoven zu seinem Adlatus und Sekretarius Anton Schindler. Genauer gesagt: Der unvergessliche Dichter Gert Jonke lässt es in seiner Theatersonate „Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist“ den tauben Beethoven zu seinem lästigen Gehilfen sagen. Es geht im Ohrenmaschinisten zwar um die „Große Sonate für das Hammerklavier“ op. 106 aus dem Jahr 1818. Aber was Gert Jonke „seinem“ Beethoven in den Mund legt, gilt sinngemäß auch für die zwei Jahre später geschriebene Sonate E-Dur op. 109 und ihre im Jahresabstand entstandenen Schwesterwerke As-Dur op. 110 und c-Moll op. 111.
Wie eng miteinander verwoben diese Werke sind – durch Radikalität und Poesie - das machte Krystian Zimerman am Donnerstag (29.5.) im Großen Saal auf das Eindrücklichste und Bewegendste deutlich.
„Aber so deutlich und vollendet schön oder auch zärtlich wild, mit solcher sanften Wut, tobsüchtigen Sanftheit, gleichmütigen Tobsucht, (solchem) tobsüchtigem Gleichmut … haben mir die Gedanken aus der Stirn noch nie gesichtsauswärts klingen können…“ Gert Jonkes Beethoven ist schon im Begriff, sich aufzulösen, Klang zu werden, als er das sagt.
Das Radikale an der Trias der Sonaten op. 109 bis 111 ist die Auflösung der Form und ihre neue Art der Geschlossenheit gerade in dieser existentiellen Zerrissenheit. Krystian Zimermans stilistisch so gerundete Interpretation der drei Sonaten als quasi ein einziges Klang-Werk macht das besonders deutlich.
Ob die Variationen in den gewaltigen Variationssätzen der E-Dur und der c-Moll Sonate und ihre scheinbar so schlichten Ausgangsthemen, ob der dritte Satz der As-Dur Sonate – das klagende Adagio molto und die Fuge, die klingt wie das Trostwort eines strengen aber gütigen Kirchenlehrers: Zimerman arbeitet die Details mit größter Präzision heraus. Zugleich schienen die drei Werke im Großen Saal des Mozarteums zu einem einzigen Opal zu verschmelzen: schillernd von satten Farben und farblosem Glanz, changierend zwischen tiefdunkel und strahlendhell – je nach Lichteinfall.
Zimerman scheint alle Facetten dieser so facettenreichen Werke gleichzeitig zu beleuchten und zum Leuchten zu bringen - und fasst sie eben dennoch in eine geschlossene Form. Ob Toben und Flehen in irdischer Schwere, ob Aufblühen und Vergehen in überirdischer Leichtigkeit: Zimermans Interpretationen basieren auf Transparenz und Klarheit.
Selbst der Aufruhr der bedrohlichen Triller im tiefsten Register etwa in op. 111 ist bis in die kleinste Figur hinein präzise durchgestaltet. Die Trillerkaskaden im Diskant hätten dagegen statt des überaus sanften Perlencharakters durchaus da und dort schärfer geschliffenen Diamantcharakter haben können. Aber das ist Geschmackssache. Kostbarer hätte das Geschmeide jedenfalls nicht sein können.
Noch einmal Gert Jonkes Beethoven: „Leider kann das alles nur für mich selbst und niemand anderen hörbar werden, aber ich bin fest davon überzeugt, einmal, sicher in fünfzig bis hundert Jahren, wird es einige begabte Künstler geben, die diese Sonate so und nicht viel anders zu spielen imstande sein werden…“ Er hatte Recht, es gibt sie, diese wenigen begabten Künstler. Und es gibt auch das Publikum, das Beethoven in seiner „Sonatengestalt“ konzentriert zu erleben weiß: „Alle werden sie hören, staunen, irritiert sein, verwirrt oder auch beglückt.“
VON HEIDEMARIE KLABACHER
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